Poems by Johann Christoph Friedrich von Schiller

Das Lied von der Glocke Das Mädchen aus der Fremde
Das Siegesfest Der Gang nach dem Eisenhammer
Der Graf von Habsburg Der Handschuh
Der Kampf mit dem Drachen Der Ring des Polykrates
Der Taucher Die Bürgschaft
Die Hoffnung Die Kraniche des Ibykus
Die Macht des Gesanges Die Worte des Glaubens


Das Lied von der Glocke

Vivos voco
Mortuos plango
Fulgura frango

Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden.
Frisch Gesellen, seid zur Hand.
Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben,
Doch der Segen kommt von oben.

Zum Werke, daß wir ernst bereiten,
Geziemt sich wohl ein ernstes Wort;
Wenn gute Reden sie begleiten,
Dann fließt die Arbeit munter fort.
So laßt uns jetzt mit Fleiß betrachten,
Was durch die schwache Kraft entspringt,
Den schlechten Mann muß man verachten,
Der nie bedacht, was er vollbringt.
Das ist's ja, was den Menschen zieret,
Und dazu ward ihm der Verstand,
Daß er im innern Herzen spüret,
Was er erschafft mit seiner Hand.

Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
Doch recht trocken laßt es sein,
Daß die eingepreßte Flamme
Schlage zu dem Schwalch hinein.
Kocht des Kupfers Brei,
Schnell das Zinn herbei,
Daß die zähe Glockenspeise
Fließe nach der rechten Weise.

Was in des Dammes tiefer Grube
Die Hand mit Feuers Hülfe baut,
Hoch auf des Turmes Glockenstube
Da wird es von uns zeugen laut.
Noch dauern wird's in späten Tagen
Und rühren vieler Menschen Ohr
Und wird mit dem Betrübten klagen
Und stimmen zu der Andacht Chor.
Was unten tief dem Erdensohne
Das wechselnde Verhängnis bringt,
Das schlägt an die metallne Krone,
Die es erbaulich weiterklingt.

Weiße Blasen seh ich springen,
Wohl! Die Massen sind im Fluß.
Laßt's mit Aschensalz durchdringen,
Das befördert schnell den Guß.
Auch von Schaume rein
Muß die Mischung sein,
Daß vom reinlichen Metalle
Rein und voll die Stimme schalle.

Denn mit der Freude Feierklange
Begrüßt sie das geliebte Kind
Auf seines Lebens erstem Gange,
Den es in Schlafes Arm beginnt;
Ihm ruhen noch im Zeitenschoße
Die schwarzen und die heitern Lose,
Der Mutterliebe zarte Sorgen
Bewachen seinen goldnen Morgen.-
Die Jahre fliehen pfeilgeschwind.

Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe,
Er stürmt ins Leben wild hinaus,
Durchmißt die Welt am Wanderstabe.
Fremd kehrt er heim ins Vaterhaus,
Und herrlich, in der Jugend Prangen,
Wie ein Gebild aus Himmelshöhn,
Mit züchtigen, verschämten Wangen
Sie er die Jungfrau vor sich stehn.
Da faßt ein namenloses Sehnen
Des Jünglings Herz, er irrt allein,
Aus seinen Augen brechen Tränen,
Er flieht der Brüder wilder Reihn.
Errötend folgt er ihren Spuren
Und ist von ihrem Gruß beglückt,
Das Schönste sucht er auf den Fluren,
Womit er seine Liebe schmückt.
O! zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
Der ersten Liebe goldne Zeit,
Das Auge sieht den Himmel offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit.
O! daß sie ewig grünen bliebe,
Die schöne Zeit der jungen Liebe!

Wie sich schon die Pfeifen bräunen!
Dieses Stäbchen tauch ich ein,
Sehn wir's überglast erscheinen,
Wird's zum Gusse zeitig sein.
Jetzt, Gesellen, frisch!
Prüft mir das Gemisch,
Ob das Spröde mit dem Weichen
Sich vereint zum guten Zeichen.

Denn wo das Strenge mit dem Zarten,
Wo Starkes sich und Mildes paarten,
Da gibt es einen guten Klang.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.
Lieblich in der Bräute Locken
Spielt der jugfräuliche Kranz,
Wenn die hellen Kirchenglocken
Laden zu des Festes Glanz.
Ach! des Lebens schönste Feier
Endigt auch den Lebensmai,
Mit dem Gürtel, mit dem Schleier
Reißt der schöne Wahn entzwei.
Die Leidenschaft flieht!
Die Liebe muß bleiben,
Die Blume verblüht,
Die Frucht muß treiben.
Der Mann muß hinaus
Ins feindliche Leben,
Muß wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
Erlisten, erraffen,
Muß wetten und wagen,
Das Glück zu erjagen.
Da strömet herbei die unendliche Gabe,
Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe,
Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus.
Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise,
Und lehret die Mädchen
Und wehret den Knaben,
Und reget ohn Ende
Die fleißigen Hände,
Und mehrt den GewinnMit ordnendem Sinn.
Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,
Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein
Die schimmernde Wolle, den schneeigten Lein,
Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer,
Und ruhet nimmer.

Und der Vater mit frohem Blick
Von des Hauses weitschauendem Giebel
Überzählet sein blühendes Glück,
Siehet der Pfosten ragende Bäume
Und der Scheunen gefüllte Räume
Und die Speicher, vom Segen gebogen,
Und des Kornes bewegte Wogen,
Rühmt sich mit stolzem Mund:
Fest, wie der Erde Grund,
Gegen des Unglücks Macht
Steht mit des Hauses Pracht!
Doch mit des Geschickes Mächten
Ist kein ewger Bund zu flechten,
Und das Unglück schreitet schnell.

Wohl! nun kann der Guß beginnen,
Schön gezacket ist der Bruch.
Doch bevor wir's lassen rinnen,
Betet einen frommen Spruch!
Stoßt den Zapfen aus!
Gott bewahr das Haus!
Rauchend in des Henkels Bogen
Schießt's mit feuerbraunen Wogen.

Wohtätig ist des Feuers Macht,
Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,
Und was er bildet, was er schafft,
Das dankt er dieser Himmelskraft,
Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
Wenn sie der Fessel sich entrafft,
Einhertritt auf der eignen Spur
Die freie Tochter der Natur.
Wehe, wenn sie losgelassen
Wachsend ohne Widerstand
Durch die volkbelebten Gassen
Wälzt den ungeheuren Brand!
Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand.
Aus der Wolke
Quillt der Segen,
Strömt der Regen,
Aus der Wolke, ohne Wahl,
Zuckt der Strahl!
Hört ihr's wimmern hoch vom Turm?
Das ist Sturm!
Rot wie Blut
Ist der Himmel,
Das ist nicht des Tages Glut!
Welch Getümmel
Straßen auf!
Dampf wallt auf!
Flackernd steigt die Feuersäule,
Durch der Straße lange Zeile
Wächst es fort mit Windeseile,
Kochend wie aus Ofens Rachen
Glühn die Lüfte, Balken krachen,
Pfosten stürzen, Fenster klirren,
Kinder jammern, Mütter irren,
Tiere wimmern
Unter Trümmern,
Alles rennet, rettet, flüchtet,
Taghell ist die Nacht gelichtet,
Durch der Hände lange Kette
Um die Wette
Fliegt der Eimer, hoch im Bogen
Sprützen Quellen, Wasserwogen.

Heulend kommt der Sturm geflogen,
Der die Flamme brausend sucht.
Prasselnd in die dürre Frucht
Fällt sie in des Speichers Räume,
In der Sparren dürre Bäume,
Und als wollte sie im Wehen
Mit sich fort der Erde Wucht
Reißen, in gewaltger Flucht,
Wächst sie in des Himmels Höhen
Riesengroß!
Hoffnungslos
Weicht der Mensch der Götterstärke,
Müßig sieht er seine Werke
Und bewundernd untergehn.

Leergebrannt
Ist die Stätte,
Wilder Stürme rauhes Bette,
In den öden Fensterhöhlen
Wohnt das Grauen,
Und des Himmels Wolken schauen
Hoch hinein.

Einen Blick
Nach den Grabe
Seiner Habe
Sendet noch der Mensch zurück -
Greift fröhlich dann zum Wanderstabe.
Was Feuers Wut ihm auch geraubt,
Ein süßer Trost ist ihm geblieben,
Er zählt die Haupter seiner Lieben,
Und sieh! ihm fehlt kein teures Haupt.

In die Erd ist's aufgenommen,
Glücklich ist die Form gefüllt,
Wird's auch schön zutage kommen,
Daß es Fleiß und Kunst vergilt?
Wenn der Guß mißlang?
Wenn die Form zersprang?
Ach! vielleicht indem wir hoffen,
Hat uns Unheil schon getroffen.

Dem dukeln schoß der heilgen Erde
Vertrauen wir der Hände Tat,
Vertraut der Sämann seine Saat
Und hofft, daß sie entkeimen werde
Zum Segen, nach des Himmels Rat.
Noch köstlicheren Samen bergen
Wir trauernd in der Erde Schoß
Und hoffen, daß er aus den Särgen
Erblühen soll zu schönerm Los.

Von dem Dome,
Schwer und bang,
Tönt die Glocke
Grabgesang.
Ernst begleiten ihre Trauerschläge
Einen Wandrer auf dem letzten Wege.

Ach! die Gattin ist's, die teure,
Ach! es ist die treue Mutter,
Die der schwarze Fürst der Schatten
Wegführt aus dem Arm des Gatten,
Aus der zarten Kinder Schar,
Die sie blühend ihm gebar,
Die sie an der treuen Brust
Wachsen sah mit Mutterlust -
Ach! des Hauses zarte bande
Sind gelöst auf immerdar,
Denn sie wohnt im Schattenlande,
Die des Hauses Mutter war,
Denn es fehlt ihr treues Walten,
Ihre Sorge wacht nicht mehr,
An verwaister Stätte schalten
Wird die Fremde, liebeleer.

Bis die Glocke sich verkühlet,
Laßt die strenge Arbeit ruhn,
Wie im Laub der Vogel spielet,Mag sich jeder gütlich tun.
Winkt der Sterne Licht,
Ledig aller Pflicht
Hört der Pursch die Vesper schlagen,
Meister muß sich immer plagen.

Munter fördert seine Schritte
Fern im wilden Forst der Wandrer
Nach der lieben Heimathütte.
Blökend ziehen
Heim die Schafe,
Und der Rinder
Breitgestirnte, glatte Scharen
Kommen brüllend,
Die gewohnten Ställe füllend.
Schwer herein
Schwankt der Wagen,
Kornbeladen,
Bunt von Farben
Auf den Garben
Liegt der Kranz,
Und das junge Volk der Schnitter
Fliegt zum Tanz.
Markt und Straße werden stiller,
Um des Lichts gesellge Flamme
Sammeln sich die Hausbewohner,
Und das Stadttor schließt sich knarrend.
Schwarz bedecket
Sich die Erde,
Doch den sichern Bürger schrecket
Nicht die Nacht,
Die den Bösen gräßlich wecket,
Denn das Auge des Gesetzes wacht.

Heilge Ordnung, segenreiche
Himmelstochter, die das Gleiche
Frei und leicht und freudig bindet,
Die der Städte Bau begründet,
Die herein von den Gefilden
Rief den ungesellgen Wilden,
Eintrat in der Menschen Hütten,
Sie gewöhnt zu sanften Sitten
Und das teuerste der Bande
Wob, den Trieb zum Vaterlande!

Tausend fleißge Hände regen,
helfen sich in munterm Bund,
Und in feurigem Bewegen
Werden alle Kräfte kund.
Meister rührt sich und Geselle
In der Freiheit heilgem Schutz.
Jeder freut sich seiner Stelle,
Bietet dem Verächter Trutz.
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis,
Ehrt den König seine Würde,
Ehret uns der Hände Fleiß.

Holder Friede,
Süße Eintracht,
Weilet, weilet
Freundlich über dieser Stadt!
Möge nie der Tag erscheinen,
Wo des rauhen Krieges Horden
Dieses stille Tal durchtoben,
Wo der Himmel,
Den des Abends sanfte Röte
Lieblich malt,
Von der Dörfer, von der Städte
Wildem Brande schrecklich strahlt!

Nun zerbrecht mir das Gebäude,
Seine Absicht hat's erfüllt,
Daß sich Herz und Auge weide
An dem wohlgelungnen Bild.
Schwingt den Hammer, schwingt,
Bis der Mantel springt,
Wenn die Glock soll auferstehen,
Muß die Form in Stücke gehen.

Der Meister kann die Form zerbrechen
Mit weiser Hand, zur rechten Zeit,Doch wehe, wenn in Flammenbächen
Das glühnde Erz sich selbst befreit!
Blindwütend mit des Donners Krachen
Zersprengt es das geborstne Haus,
Und wie aus offnem Höllenrachen
Speit es Verderben zündend aus;

Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
Da kann sich kein Gebild gestalten,
Wenn sich die Völker selbst befrein,
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.

Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte
Der Feuerzunder still gehäuft,
Das Volk, zerreißend seine Kette,
Zur Eigenhilfe schrecklich greift!
Da zerret an der Glocken Strängen
Der Aufruhr, daß sie heulend schallt
Und, nur geweiht zu Friedensklängen,
Die Losung anstimmt zur Gewalt.

Freiheit und Gleichheit! hört man schallen,
Der ruhge Bürger greift zur Wehr,
Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden ziehn umher,
Das werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz,
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreißen sie des Feindes Herz.
Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
Sich alle Bande frommer Scheu,
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frei.
Gefährlich ist's, den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn,
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh denen, die dem Ewigblinden
Des Lichtes Himmelsfackel leihn!
Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden
Und äschert Städt und Länder ein.

Freude hat mir Gott gegeben!
Sehet! Wie ein goldner Stern
Aus der Hülse, blank und eben,
Schält sich der metallne Kern.
Von dem Helm zum Kranz
Spielt's wie Sonnenglanz,
Auch des Wappens nette Schilder
Loben den erfahrnen Bilder.

Herein! herein!
Gesellen alle, schließt den Reihen,
Daß wir die Glocke taufend weihen,
Concordia soll ihr Name sein,
Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine
Versammle sich die liebende Gemeine.

nd dies sei fortan ihr Beruf,
Wozu der Meister sie erschuf!
Hoch überm niedern Erdenleben
Soll sie im blauen Himmelszelt
Die Nachbarin des Donners schweben
Und grenzen an die Sternenwelt,
Soll eine Stimme sein von oben,
Wie der Gestirne helle Schar,
Die ihren Schöpfer wandelnd lobenUnd führen das bekränzte Jahr.
Nur ewigen und ernsten Dingen
Sei ihr metallner Mund geweiht,
Und stündlich mit den schnellen Schwingen
Berühr im Fluge sie die Zeit,
Dem Schicksal leihe sie die Zunge,
Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,
Begleite sie mit ihrem Schwunge
Des Lebens wechselvolles Spiel.
Und wie der Klang im Ohr vergehet,
Der mächtig tönend ihr erschallt,
So lehre sie, daß nichts bestehet,
Daß alles Irdische verhallt.

Jetzo mit der Kraft des Stranges
Wiegt die Glock mir aus der Gruft,
Daß sie in das Reich des Klanges
Steige, in die Himmelsluft.
Zehet, ziehet, hebt!
Sie bewegt sich, schwebt,
Freude dieser Stadt bedeute,
Friede sei ihr erst Geläute.


Das Mädchen aus der Fremde

In einem Tal bei armen Hirten
Erschien mit jedem jungen Jahr,
Sobald die ersten Lerchen schwirrten,
Ein Mädchen, schön und wunderbar.

Sie war nicht in dem Tal geboren,
Man wußte nicht, woher sie kam,
Doch schnell war ihre Spur verloren,
Sobald das Mädchen Abschied nahm.

Beseligend war ihre Nähe
Und alle Herzen wurden weit;
Doch eine Würde, eine Höhe
Entfernte die Vertraulichkeit.

Sie brachte Blumen mit und Früchte,
Gereift auf einer andern Flur,
In einem andern Sonnenlichte,
In einer glücklichern Natur,

Und teilte jedem eine Gabe,
Dem Früchte, jenem Blumen aus;
Der Jüngling und der Greis am Stabe,
Ein jeder ging beschenkt nach Haus.

Willkommen waren alle Gäste,
Doch nahte sich ein liebend Paar,
Dem reichte sie der Gaben beste,
Der Blumen allerschönste dar.


Das Siegesfest

Priams Feste war gesunken,
Troja lag in Schutt und Staub,
Und die Griechen siegestrunken,
Reichbeladen mit dem Raub,
Saßen auf den hohen Schiffen
Längs des Hellespontos Strand,
Auf der frohen Fahrt begriffen
Nach dem schönen Griechenland.
Stimmet an die frohen Lieder!
Denn dem väterlichen Herd
Sind die Schiffe zugekehrt,
Und zur Heimat geht es wieder.

Und in langen Reihen, klagend,
Saß der Trojerinnen Schar,
Schmerzvoll an die Brüste schlagend,
Bleich, mit aufgelöstem Haar.
In das wilde Fest der Freuden
Mischten sie den Wehgesang,
Weinen um das eig'ne Leiden
In des Reiches Untergang.
Lebe wohl, geliebter Boden!
Von der süßen Heimat fern
Folgen wir dem fremden Herrn;
Ach! wie glücklich sind die Toten!

Und den hohen Göttern zündet
Kalchas jetzt das Opfer an.
Pallas, die die Städte gründet
Und zertrümmert, ruft er an,
Und Neptun, der um die Länder
Seinen Wogengürtel schlingt,
Und den Zeus, den Schreckensender,
Der die Ägis grausen schwingt.
Ausgestritten, ausgerungen
Ist der lange, schwere Streit,
Ausgefüllt der Kreis der Zeit,
Und die große Stadt bezwungen.

Atreus' Sohn, der Fürst der Scharen
Übersah der Völker Zahl,
Die mit ihm gezogen waren
Einst in des Skamanders Tal.
Und des Kummers finst're Wolke
Zog sich um des Königs Blick;
Von dem hergeführten Volke
Bracht' er wen'ge nur zurück.
Drum erhebe frohe Lieder,
Wer die Heimat wieder sieht,
Wem noch frisch das Leben blüht,
Denn nicht alle kehren wieder.

"Alle nicht, die wiederkehren,
Mögen sich des Heimzugs freun;
An den häuslichen Altären
Kann der Mord bereitet sein.
Mancher fiel durch Freundestücke,
Den die blut'ge Schlacht verfehlt!"
Sprach Ulyß mit Warnungsblicke,
Von Athenens Geist beseelt.
Glücklich, wem der Gattin Treue
Rein und keusch das Haus bewahrt!
Denn das Weib ist falscher Art,
Und die Arge liebt das Neue.

Und des frisch erkämpften Weibes
Freut sich der Atrid' und strickt
Um des Reiz des schönen Leibes
Seine Arme hochbeglückt.
Böses Werk muß untergehen,
Rache folgt der Freveltat;
Denn gerecht in Himmelshöhen
Waltet des Kroniden Rat.
Böses muß mit Bösem enden;
An dem frevelndem Geschlecht
Rächet Zeus das Gastesrecht,
Wägend mit gerechten Händen.

Wohl dem Glücklichen mag's ziemen,
Ruft Oileus' tapf'rer Sohn,
Die Regierenden zu rühmen
Auf dem hohen Himmelsthron!
Ohne Wahl verteilt die Gaben,
Ohne Billigkeit das Glück;
Denn Patroklus liegt begraben,
Und Thersites kommt zurück!
Weil das Glück aus seiner Tonnen
Die Geschickte blind verstreut,
Freue sich und jauchze heut,
Wer das Lebenslos gewonnen!

Ja, der Krieg verschlingt die Besten!
Ewig werde dein gedacht,
Bruder, bei der Griechen Festen,
Der ein Turm war in der Schlacht.
Da der Griechen Schiffe brannten,
War in deinem Arm das Heil;
Doch dem Schlauen, Vielgewandten
Ward der schöne Preis zu Teil.
Friede deinen heil'gen Resten!
Nicht der Feind hat dich entrafft,
Ajax fiel durch Ajax' Kraft -
Ach, der Zorn verderbt die Besten!

Dem Erzeuger jetzt, dem großen,
Gießt Neoptolem des Weins:
Unter allen ird'schen Losen,
Hoher Vater, preis' ich deins.
Von des Lebens Gütern allen
Ist der Ruhm das höchste doch;
Wenn der Leib in Staub zerfallen,
Lebt der große Name noch.
Tapf'rer, deines Ruhmes Schimmer
Wird unsterblich sein im Lied;
Denn das ird'sche Leben flieht,
Und die Toten dauern immer.

Weil des Liedes Stimmen schweigen
Von den überwund'nen Mann,
So will ich für Hektor zeugen,
Hub der Sohn des Tydeus an,
Der für seine Hausaltäre
Kämpfend ein Beschützer fiel -
Krönt den Sieger größ're Ehre,
Ehret ihn das schön're Ziel!
Der für seine Hausaltäre
Kämpfend sank, ein Schirm und Hort,
Auch in Feindes Munde fort
Lebt ihm seines Namens Ehre.

Nestor jetzt, der alte Zecher,
Der drei Menschenalter sah,
Reicht den laubumkränzten Becher
Der betränten Hekuba.
Trink ihn aus, den Trank der Labe,
Und vergiß den großen Schmerz!
Wundervoll ist Bacchus’ Gabe.
Balsam für’s zerriss’ne Herz!
Trink ihn aus, den Trank der Labe
Und vergiß den großen Schmerz,
Balsam für’s zerriss’ne Herz,
Wundervoll ist Bacchus’ Gabe.

Denn auch Niobe, dem schweren
Zorn der Himmlischen ein Ziel,
Kostete die Frucht der Ähren
Und bezwang das Schmerzgefühl.
Denn so lang die Lebensquelle
Schäumet an der Lippen Rand,
Ist der Schmerz in Lethe's Welle
Tief versenkt und festgebrannt!
Denn so lang die Lebensquelle
In der Lippen Rande schäumt,
Ist der Jammer weggeräumt,
Fortgespült in Lethe's Welle.

Und von ihrem Gott ergriffen
Hub sich jetzt die Seherin,
Blicke von den hohen Schiffen
Nach dem Rauch der Heimat hin.
Rauch ist alles ird'sche Wesen;
Wie des Dampfes Säule weht,
Schwinden alle Erdengrößen,
Nur die Götter bleiben stät.
Um das Roß des Reiters schweben,
Um das Schiff die Sorgen her;
Morgen können wir's nicht mehr,
Darum laßt uns heute leben!


Der Gang nach dem Eisenhammer

Ein frommer Knecht war Friedolin,
Und in der Frucht des Herrn
Ergeben der Gebieterin,
Der Gräfin von Savern.
Sie war so sanft, sie war so gut;
Doch auch der Launen Übermut
Hätt' er geeifert zu erfüllen
Mit Freudigkeit, um Gottes willen.

Früh von des Tages erstem Schein,
Bis spät die Vesper schlug,
Lebt' er nur ihren Dienst allein,
Tat nimmer sich genug.
Und sprach die Dame: Mach' dir's leicht!
Da wurd' ihm gleich das Auge feucht,
Und meinte, seiner Pflicht zu fehlen,
Dürft' er sich nicht im Dienste quälen.

Drum vor dem ganzen Dienertroß
Die Gräfin ihn erhob;
Aus ihrem schönen Munde floß
Sein unerschöpftes Lob.
Sie hielt ihn nicht als ihren Knecht,
Es gab sein Herz ihm Kindesrecht;
Ihr klares Auge mit Vergnügen
Hing an den wohlgestalten Zügen.

Darob entbrennt in Roberts Brust,
Des Jägers, gift'ger Groll,
Dem längst von böser Schadenlust
Die schwarze Seele schwoll;
Und trat zum Grafen, rasch zur Tat,
Und offen des Verführers Rat,
Als einst vom Jagen heim sie kamen,
Streut' ihm in's Herz des Argwohns Samen.

"Wie seid ihr glücklich, edler Graf!"
Hub er voll Arglist an:
"Euch raubet nicht den gold'enen Schlaf
Des Zweifels gift'ger Zahn.
Denn ihr besitzt ein edles Weib;
Es gürtet Scham den keuschen Leib,
Die fromme Treue zu berücken,
Wird immer dem Versucher glücken."

Da rollt der Graf die finstern Brau'n:
"Was red'st du mir, Gesell?
Wird' ich auf Weibestugend bau'n,
Beweglich, wie die Well'?
Leicht locket sie des Schmeichlers Mund;
Mein Glaube steht auf festerm Grund:
Vom Weib des Grafen von Saverne
Bleibt, hoff' ich, der Versucher ferne."

Der Andre spricht: "So denkt ihr recht;
Nur euren Spott verdient
Der Tor, der, ein geborner Knecht,
Ein solches sich erkühnt,
Und zu der Frau, die ihm gebeut,
Erhebt der Wünsche Lüsternheit" -
"Was," fällt ihm jener ein und bebet,
"Red'st du von einem, der da lebet?" -

"Ja doch, was aller Mund erfüllt,
Das bärg' sich meinem Herrn?
Doch, weil ihr's denn mit Fleiß verhüllt,
So unterdrück' ich's gern." -
"Du bist des Todes, Bube, sprich!"
Ruft jener streng und fürchterlich,
"Wer hebt das Haupt zu Kunigonden?" -
"Nun ja, ich spreche von dem Blonden.

Er ist nicht häßlich von Gestalt,"
Fährt er mit Arglist fort,
Indem's den Grafen heiß und kalt
Durchrieselt bei dem Wort.
"Ist's möglich Herr! Ihr saht es nie,
Wie er nur Augen hat für sie?
Bei Tafel euer selbst nicht achtet,
An ihren Stuhl gefesselt schmachtet?

Seht da die Verse, die er schrieb,
Und seine Glut gesteht" -
"Gesteht!" - "Und sie um Gegenlieb',
Der freche Bube! fleht.
Die gnäd'ge Gräfin, sanft und weich,
Aus Mitleid wohl verbarg sie's euch;
Mich reuet jetzt, daß mir's entfahren,
Denn Herr, was habt ihr zu befahren?"

Da tritt in seines Zornes Wut
Der Graf in's nahe Holz,
Wo ihm in hoher Ofen Glut
Die Eisenstufe schmolz.
Hier nährten früh bis spät den Brand
Die Knechte mit geschäft'ger Hand;
Der Funke sprüht, die Bälge blasen,
Als gält' es Felsen zu verglasen.

Des Wassers und des Feuers Kraft
Verbündet sieht man hier;
Das Mühlrad, von der Flut gerafft,
Umwälzt sich für und für.
Die Werke klappern Nacht und Tag,
Im Takte pocht der Hämmer Schlag,
Und bildsam von den mächt'gen Streichen
Muß selbst das Eisen sich erweichen.

Und zweien Knechten winket er,
Bedeutet sie und sagt:
"Den ersten, den ich sende her,
Und der euch also fragt:
Habt ihr befolgt des Herren Wort?
Den werft mir in die Hölle dort,
Daß er zu Asche gleich vergehe,
Und ihn mein Auge nicht mehr sehe."

Des freut sich das entmenschte Paar
Mit roher Henkerslust;
Denn fühllos, wie das Eisen, war
Das Herz in ihrer Brust.
Und frischer mit der Bälge Hauch
Erhitzen sie des Ofens Bauch,
Und schicken sich mit Mordverlangen
Das Todesopfer zu empfangen.

Drauf Robert zum Gesellen spricht
Mit falschem Heuchelschein:
"Frisch auf ,Gesell, und säume nicht;
Der Herr begehret dein."
Der Herr, der spricht zu Fridolin:
"Mußt gleich zum Eisenhammer hin,
Und frage mir die Knechte dorten,
Ob sie getan nach meinen Worten?"

Und jener spricht: "Es soll geschehn!"
Und macht sich flugs bereit.
Doch sinnend bleibt er plötzlich stehn:
"Ob sie mir nichts gebeut?"
Und vor die Gräfin stellt er sich:
"Hinaus zum Hammer schickt man mich,
So sag', was kann ich dir verrichten?
Denn dir gehören meine Pflichten."

Darauf die Dame von Savern
Versetzt mit sanften Ton:
"Die heil'ge Messe hört' ich gern,
Doch liegt mir krank der Sohn;
So gehe denn, mein Kind, und sprich
In Andacht ein Gebet für mich,
Und denkst du reuig deiner Sünden,
So laß auch mich die Gnade finden."

Und froh der vielwillkommnen Pflicht
Macht er im Flug sich auf,
Hat noch des Dorfes ende nicht
Erreicht im schnellen Lauf,
Da tönt ihm von dem Glockenstrang
Hellschlagend des Geläutes Klang,
Das alle Sünder hochbegnadet,
Zum Sakramente festlich ladet.

"Dem lieben Gotte weich' nicht aus,
Find'st du ihn auf dem Weg!"
Er spricht's und tritt in's Gotteshaus,
Kein Laut ist hier noch reg'.
Denn um die Ernte war's, und heiß
Im Felde glüht der Schnitter Fleiß;
Kein Chorgehilfe war erschienen,
Die Messe kundig zu bedienen.

Entschlossen ist er also bald
Und macht den Sakristan;
"Das," spricht er, "ist kein Aufenthalt,
Das fördert himmelan."
Die Stola und das Cingulum
Hängt er dem Priester dienend um,
Bereitet hurtig die Gefäße,
Geheiliget zum Dienst der Messe.

Und als er dies mit Fleiß getan,
Tritt er als Ministrant
Dem Priester zum Altar voran,
Das Meßbuch in der Hand,
Und knieet rechts und knieet links,
Und ist gewärtig jedes Winks,
Und als des Sanktus Worte kamen,
Da schellt es dreimal bei dem Namen.

Drauf, als der Priester fromm sich neigt
Und, zum Altar gewandt,
Den Gott, den gegenwärt'gen, zeigt
In hoch erhobner Hand,
Da kündet es der Sakristan
Mit hellem Glöcklein an,
Und Alles kniet und schlägt die Brüste,
Sich fromm bekreuzend vor dem Christe.

So übt er jedes pünktlich aus,
Mit schnell gewandtem Sinn;
Was Brauch ist in dem Gotteshaus,
Er hat es alles inn',
Und wird nicht müde bis zum Schluß,
Bis bei'm Vobiscum Dominus
Der Priester zur Gemein' sich wendet,
Die heil'ge Handlung segnend endet.

Da stellt er jedes wiederum
In Ordnung säuberlich:
Erst reinigt er das Heiligtum,
Und dann entfernt er sich
Und eilt in des Gewissens Ruh'
Den Eisenhütten heiter zu,
Spricht unterwegs, die Zahl zu füllen,
Zwölf Paternoster noch im Stillen.

Und als er rauchen sieht den Schlot
Und sieht die Knechte stehn,
Da ruft er: "Was der Graf gebot,
Ihr Knechte, ist's geschehn?"
Und grinsend zerren sie den Mund
Und deuten in des Ofens Schlund:
"Der ist besorgt und aufgehoben;
Der Graf wird seine Diener loben."

Die Antwort bringt er seinem Herrn
In schnellem Lauf zurück.
Als der ihn kommen sieht von fern,
Kaum traut er seinem Blick.
"Unglücklicher! Wo kommst du her?" -
"Vom Eisenhammer! - "Nimmermehr!
So hast du dich im Lauf verspätet?" -
"Herr, nur so lang', bis ich gebetet.

Denn, als von eurem Angesicht
Ich heute ging, verzeiht!
Da fragt' ich erst nach meiner Pflicht
Bei der, die mir gebeut.
Die Messe, Herr, befahl sie mir
Zu hören; gern gehorcht' ich ihr
Und sprach der Rosenkränze viere
Für euer Heil und für das ihre."

In tiefes Staunen sinket hier
Der Graf, entsetzet sich:
"Und welche Antwort wurde dir
Im Eisenhammer? sprich!" -
"Herr, dunkel war der Rede Sinn,
zum Ofen wies man lachend hin:
Der ist besorgt und aufgehoben;
Der Graf wird seine Diener loben." -

"Und Robert?" fällt der Graf ihm ein,
Es überläuft ihn kalt;
"Sollt' er dir nicht begegnet sein?
Ich sandt' ihn doch zum Wald." -
"Herr, nicht im Wald, nicht in der Flur
Fand ich von Robert eine Spur" -
"Nun," ruft der Graf und steht vernichtet,
"Gott selbst im Himmel hat gerichtet!"

Und gütig, wie er nie gepflegt,
Nimmt er des Dieners Hand,
Bringt ihn der Gattin, tief bewegt,
Die nichts davon verstand.
"Dies Kind, kein Engel ist so rein,
Laßt's Eurer Huld empfohlen sein!
Wie schlimm wir auch beraten waren,
Mit dem ist Gott und seine Scharen."


Der Graf von Habsburg

Zu Aachen, in seiner Kaiserpracht,
Im altertümlichen Saale,
Saß König Rudolfs heilige Macht
Beim festlichen Krönungsmahle.
Die Speisen trug der Pfalzgraf des Rheins,
Es schenkte der Böhme des perlenden Weins,
Und alle die Wähler die Sieben,
Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt,
Umstanden geschäftig den Herrscher der Welt,
Die Würde des Amtes zu üben.

Und rings erfüllte den hohen Balkon
Das Volk in freud'gem Gedränge;
Laut mischte sich in der Posaunen Ton
Das jauchzende Rufen der Menge.
Denn geendigt nach langem verderblichen Streit
War die kaiserlose, die schreckliche Zeit,
Und ein Richter war wieder auf Erden.
Nicht blind mehr waltet der eiserne Speer,
Nicht fürchtet der Schwache, der Friedliche mehr
Des Mächtigen Beute zu werden.

Und der Kaiser ergreift den goldnen Pokal
Und spricht mit zufriedenen Blicken.
"Wohl glänzet das Fest, wohl pranget das Mahl,
Mein königlich Herz zu entzücken;
Doch den Sänger vermiss' ich, den Bringer der Lust,
Der mit süßem Klang mir bewege die Brust
Und mit göttlich erhabenen Lehren.
So hab' ich's gehalten von Jugend an,
Und was ich als Ritter gepflegt und getan,
Nicht will ich's als Kaiser entbehren."

Und sieh! in des Fürsten umgebenden Kreis
Trat der Sänger im langen Talare.
Ihm glänzte die Locke silberweiß,
Gebleicht von der Fülle der Jahre.
"Süßer Wohllaut schläft in der Saiten Gold,
Der Sänger singt von der Minne Sold,
Er preiset das Höchste, das Beste,
Was das Herz sich wünscht, was der Sinn begehrt,
Doch sage, was ist des Kaisers wert
An seinem herrlichsten Feste?"

"Nicht gebieten werd' ich dem Sänger," spricht
Der Herrscher mit lächelndem Munde,
"Er steht in des größeren Herren Pflicht,
Er gehorcht der gebietenden Stunde.
Wie in den Lüften der Sturmwind saust,
Man weiß nicht, von wannen er kommt und braust,
Wie der Quell aus verborgenen Tiefen,
So des Sängers Lied aus dem Innern schallt
Und wecket der dunklen Gefühle Gewalt,
Die im Herzen wunderbar schliefen."

Und der Sänger rasch in die Saiten fällt
Und beginnt sie mächtig zu schlagen:
"Auf's Waidwerk hinaus ritt ein edler Held,
Den flüchtigen Gamsbock zu jagen.
Ihm folgte der Knapp mit dem Jägergeschoß,
Und als er auf seinem stattlichen Roß
In eine Au kommt geritten,
Ein Glöcklein hört er erklingen fern,
Ein Priester war's mit dem Leib des Herrn,
Voran kam der Meßner geschritten.

Und der Graf sich zur Erde neiget hin,
Das Haupt mit Demut entblößet,
Zu verehren mit gläubigen Christensinn,
Was alle Menschen erlöset.
Ein Bächlein aber rauschte durch's Feld,
Von des Gießbachs reißenden Fluten geschwellt,
Das hemmt der Wandrer Tritte,
Und beiseit' legt jener das Sakrament,
Von den Füßen zieht er die Schuhe behend,
Damit er das Bächlein durchschritte.

Was schaffst du? redet der Graf ihn an,
Der ihn verwundert betrachtet.
Herr, ich walle zu einem sterbenden Mann,
Der nach der Himmelskost schmachtet.
Und da ich mich nahe des Baches Steg,
Da hat ihn der strömende Gießbach hinweg
Zum Strudel der Wellen gerissen.
Drum, daß dem Lechzenden werde sein Heil,
Da will ich das Wässerlein jetzt in Eil'
Durchwaten mit nackenden Füßen.

Da setzt ihn der Graf auf sein ritterlich Pferd,
Und reicht ihm die prächtigen Zäume,
Daß er labe den Kranken, der sein begehrt,
Und die heilige Pflicht nicht versäume.
Und er selber auf seines Knappen Tier
Vergnügt noch weiter des Jagens Begier;
Der andre die Reise vollführet,
Und am nächsten Morgen mit dankendem Blick,
Da bringt er dem Grafen sein Roß zurück,
Bescheiden am Zügel geführet.

Nicht wolle das Gott, rief mit Demutsinn
Der Graf, daß zum Streiten und Jagen
Das Roß ich bestiege fürderhin,
Das meinen Schöpfer getragen!
Und magst du's nicht haben zu eignem Gewinnst,
So bleibt es gewidmet dem göttlichen Dienst;
Denn ich hab' es dem ja gegeben,
Von dem ich Ehre und irdisches Gut
Zu Lehen trage mit Leib und Blut
Und Seele und Atem und Leben. -

So mög' auch Gott, der allmächtige Hort,
Der das Flehen der Schwachen erhöret,
Zu Ehren euch bringen hier und dort,
So wie ihr ihn jetzt geehret.
Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt
Durch ritterlich Walten im Schweizerland;
Euch blüh'n sechs liebliche Töchter.
So mögen sie, rief er begeistert aus,
Sechs Kronen euch bringen in euer Haus,
Und glänzen die spät'sten Geschlechter."

Und mit sinnenden Haupt saß der Kaiser da,
Als dächt' er vergangener Zeiten;
Jetzt, da er dem Sänger in's Auge sah,
Da ergreift ihn der Worte Bedeuten.
Die Züge des Priesters erkennt er schnell
Und verbirgt der Tränen stürzenden Quell
In den Mantels purpurnen Falten.
Und Alles blickte den Kaiser an
Und erkannte den Grafen, der das getan,
Und verehrte das göttliche Walten.


Der Handschuh

Vor seinem Löwengarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Franz,
Und um ihn die Großen der Krone,
Und rings auf hohem Balkone
Die Damen in schönem Kranz.
Und wie er winkt mit dem Finger,
Auf tut sich der zweite Zwinger,
Und hinein mit bedächtigem Schritt
Ein Löwe tritt,
Und sieht sich stumm
Rings um
Mit langem Gähnen
Und schüttelt die Mähnen
Und streckt die Glieder
Und legt sich nieder.

Und der König winkt wieder. -
Da öffnet sich behend
Ein zweites Tor,
Daraus rennt
Mit wildem Sprunge
Ein Tiger hervor.
Wie er den Löwen erschaut,
Brüllt er laut,
Schlägt mit dem Schweif
Einen furchtbaren Reif
Und recket die Zunge,
Und im Kreise scheu
Umgeht er den Leu,
Grimmig schnurrend;
Drauf streckt er sich murrend
Zur Seite nieder.

Und der König winkt wieder. -
Da speit das doppelt geöffnete Haus
Zwei Leoparden auf einmal aus.
Die stürzen mit mutiger Kampfbegier
Auf das Tigertier;
Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen.
Und der Leu mit Gebrüll
Richtet sich auf, da wird's still;
Und herum im Kreis,
Von Mordsucht heiß,
Lagern sich die gräulichen Katzen.

Da fällt von des Altans Rand
Ein Handtuch von schöner Hand
Zwischen den Tiger und den Leu'n
Mitten hinein.

Und zu Ritter Delorges, spottender Weis',
Wendet sich Fräulein Kunigunde:
"Herr Ritter, ist eure Liebe so heiß,
Wie ihr mir's schwört zu jeder Stunde,
Ei, so hebt mir den Handschuh auf!"

Und der Ritter in schnellem Lauf
Steigt hinab in den furchtbar'n Zwinger
Mit festem Schritte,
Und aus der Ungeheuer Mitte
Nimmt er den Handschuh mit keckem Finger.

Und mit Erstaunen und mit Grauen
Sehen's die Ritter und Edelfrauen,
Und gelassen bringt er den Handschuh zurück.
Da schallt ihm sein Lob aus jedem Munde.
Aber mit zärtlichem Liebesblick -
Er verheißt ihm sein nahes Glück -
Empfängt ihn Fräulein Kunigunde.
Und er wirft ihr den Handschuh in's Gesicht.
"Den Dank, Dame, begehr' ich nicht!"
Und verläßt sie zur selben Stunde.


Der Kampf mit dem Drachen

Was rennt das Volk, was wälzt sich dort
Die langen Gassen brausend fort?
Stürzt Rhodus unter Feuers Flammen?
Es rottet sich im Sturm zusammen,
Und einen Ritter, hoch zu Roß,
Gewahr' ich aus dem Menschentroß,
Und hinter ihm, welch Abenteuer!
Bringt man geschleppt ein Ungeheuer;
Ein Drache scheint es von Gestalt,
Mit weitem Krokodilsrachen,
Und Alles blickt verwundert bald
Den Ritter an und bald den Drachen.

Und tausend Stimmen werden laut:
"Das ist der Lindwurm, kommt und schaut,
Der Hirt und Herden uns verschlungen!
Das ist der Held, der ihn bezwungen!
Viel and're zogen vor ihm aus,
Zu wagen den gewal'gen Strauß,
Doch keinen sah man wiederkehren;
Den kühnen Ritter soll man ehren!"
Und nach dem Kloster geht der Zug,
Wo Sankt Johann's des Täufers Orden,
Die Ritter des Spitals, im Flug
Zu Rate sind versammelt worden.

Und vor den edlen Meister tritt
Der Jüngling mit bescheid'nem Schritt;
Nachdrängt das Volk mit wildem Rufen,
Erfüllend des Geländers Stufen.
Und jener nimmt das Wort und spricht:
"Ich hab' erfüllt die Ritterpflicht;
Der Drache, der das Land verödet,
Er ist von meiner Hand getötet.
Frei ist dem Wanderer der Weg;
Der Hirte treibe in's Gefilde;
Froh walle auf dem Felsensteg
Der Pilger zu dem Gnadenbilde."

Doch strenge blickt der Fürst ihn an
Und spricht: "Du hast als Held getan:
Der Mut ist's, der den Ritter ehret,
Du hast den kühnen Geist bewähret;
Doch sprich:
Was ist die erste Pflicht
Des Ritters, der für Christum ficht,
Sich schmücket mit des Kreuzes Zeichen?"
Und alle rings herum erbleichen.
Doch er, mit edlem Anstand, spricht,
Indem er sich errötend neiget:
"Gehorsam ist die erste Pflicht,
Die ihn des Schmuckes würdig zeiget."

"Und diese Pflicht, mein Sohn, " versetzt
Der Meister, "hast du frech verletzt;
Den Kampf, den das Gesetz versaget,
Hast du mit frevlem Mut gewaget!" -
"Herr, richte, wenn du alles weißt,"
Spricht jener mit gesetztem Geist,
"Denn des Gesetzes Sinn und Willen
Vermeint' ich treulich zu erfüllen.
Nicht unbedachtsam zog ich hin,
Das Ungeheuer zu bekriegen;
Durch List und fluggewandten Sinn
Verflucht' ich, in dem Kampf zu siegen.

Fünf unsers Ordens waren schon,
Die Zierde der Religion,
Des kühnen Mutes Opfer worden;
Da wehrtest du den Kampf dem Orden.
Doch an dem Herzen nagten mir
Der Unmut und die Streitbegier,
Ja, selbst im Traum der stillen Nächte
Fand ich mich keuchend im Gefechte,
Und wenn der Morgen dämmernd kam
Und Kunde gab von neuen Plagen,
Da faßte mich ein wilder Gram,
Und ich beschloß, es frisch zu wagen.

Und zu mir selber sprach ich dann.
Was schmückt den Jüngling, ehrt den Mann?
Was leisteten die tapfern Helden,
Von denen uns die Lieder melden,
Die zu der Götter Glanz und Ruhm
Erhub das blinde Heidentum?
Sie reinigten von Ungeheuern,
Die Welt in kühnen Abenteuern,
Begegneten im Kampf den Leu`n,
Und rangen mit den Minotauren,
Die armen Opfer zu befrei`n,
Und ließen sich das Blut nicht dauren.

Ist nur der Sarazen es wert,
Daß ihn bekämpft des Christen Schwert?
Bekriegt er nun die falschen Götter?
Gesandt ist er der Welt zum Retter!
Von jeder Not und jedem Harm
Befreien muß sein starker Arm!
Doch seinen Mut muß Weisheit leiten,
Und List muß mit der Stärke streiten.
So sprach ich oft und zog allein,
Des Raubtiers Fährte zu erkunden.
Da flößte mir der Geist es ein;
Froh rief ich aus: ich hab`s gefunden!

Und trat zu dir und sprach das Wort:
Mich zieht es nach der Heimat fort.
Du, Herr, willfahrtest meinen Bitten,
Und glücklich war das Meer durchschnitten.
Kaum stieg ich aus am heim`schen Strand,
Gleich ließ ich durch des Künstlers Hand,
Getreu den wohlbemerkten Zügen,
Ein Drachenbild zusammenfügen.
Auf kurzen Füßen wird die Last
Des langen Leibes aufgetürmet;
Ein schuppig Panzerhemd umfaßt
Den Rücken, den es furchtbar schirmet.

Lang strecket sich der Hals hervor,
Und gräßlich wie ein Höllentor,
Als schnappt' er gierig nach der Beute,
Eröffnet sich des Rachens Weite,
Und aus dem schwarzen Munde dräu'n
Der Zähne stacheligte Reih'n;
Die Zunge gleicht des Schwertes Spitze,
Die kleinen Augen sprühen Blitze;
In eine Schlange endigt sich
Des Rückens ungeheure Länge,
Roll um sich selber fürchterlich,
Daß es um Roß und Mann sich schlänge.

Und alles bild' ich nach genau
Und kleid' es in ein scheußlich Grau!
Halb Wurm erschien's, halb Molch und Drache,
Erzeuget in der gift'gen Lache.
Und als das Bild vollendet war,
Erwähl' ich mir ein Doggenpaar,
Gewaltig, schnell, von flinken Läufen,
Gewohnt, den wilden Ur zu greifen,
Die hetz' ich auf den Lindwurm an,
Erhitze sie zu wildem Grimme,
Zu fassen ihn mit scharfen Zahn,
Und lenke sie mit meiner Stimme.

Und wo des Bauches weißes Vlies
Den scharfen Bissen Blöße ließ,
Da reiz' ich sie, den Wurm zu packen,
Die spitzen Zähne einzuhacken.
Ich selbst, bewaffnet mit Geschoß,
Besteige mein arabisch Roß,
Von adliger Zucht entstammet,
Und als ich sein Zorn entflammet,
Rasch auf den Drachen spreng' ich's los
Und werfe zielend mein Geschoß,
Als wollt' ich die Gestalt durchbohren.

Ob auch das Roß sich grauend bäumt
Und knirscht und in die Zügel schäumt,
Und meine Doggen ängstlich stöhnen,
Nicht rast' ich, bis sie sich gewöhnen.
So üb' ich's aus mit Emsigkeit,
Bis dreimal sich der Mond erneut,
Und als sie jedes recht begriffen,
Fahr' ich sie her auf schnellen Schiffen.
Der dritte Morgen ist es nun,
Daß mir's gelungen, hier zu landen;
Den Gliedern gönnt' ich kaum zu ruhn,
Bis ich das große Werk bestanden.

Denn heiß erregte mit das Herz
Des Landes frisch erneuter Schmerz:
Zerrissen fand man jüngst die Hirten,
Die nach dem Sumpfe sich verirrten.
Und ich beschließe rasch die Tat,
Nur von dem Herzen nehm' ich Rat.
Flugs unterricht' ich meine Knappen,
Besteige den versuchten Rappen,
Und von dem edlen Doggenpaar
Begleitet, auf geheimen Wegen,
Wo meine Tat kein Zeuge war,
Reit' ich dem Feinde frisch entgegen.

Das Kirchlein kennst du, Herr, das hoch
Auf eines Felsenberges Joch,
Der weit die Insel überschauet,
Des Meisters kühner Geist erbauet.
Verächtlich scheint es, arm und klein;
Doch ein Mirakel schließt es ein:
Die Mutter mit dem Jesusknaben,
Den die drei Könige begraben.
Auf dreimal dreißig Stufen steigt
Der Pilgrim nach der steilen Höhe,
Doch hat er schwindelnd sie erreicht,
Erquickt ihn seines Heiland Nähe.

Tief in den Fels, auf dem es hängt,
Ist eine Grotte eingesprengt,
Vom Tau des nahen Moores befeuchtet,
Wohin des Himmels Strahl nicht leuchtet,
Hier hausete der Wurm und lag,
Den Raub erspähend, Nacht und Tag.
So hielt er, wie der Höllendrache,
Am Fluß des Gotteshauses Wache;
Und kam der Pilger hergewallt
Und lenkte in die Unglücksstraße,
Hervor brach aus dem Hinterhalt
Der Feind und trug ihn fort zum Fraße.

Den Felsen stieg ich jetzt hinan,
Eh' ich den schweren Strauß begann:
Hin kniet' ich vor dem Christuskinde
Und reinigte mein Herz von Sünde.
Drauf gürt' ich mir im Heiligtum
Den blanken Schmuck der Waffen um,
Bewehre mit dem Spieß die Rechte,
Und nieder steig' ich zum Gefechte.
Zurück bleibt der Knappen Troß;
Ich gebe scheidend die Befehle
Und schwinge mich behend auf's Roß,
Und Gott empfehl' ich meine Seele.

Kaum seh' ich mich im eb'nen Plan,
Flugs schlagen meine Doggen an,
Und bang beginnt das Roß zu keuchen
Und bäumt sich und will nicht weichen;
Denn nahe liegt zum Knäul geballt,
Des Feindes scheußliche Gestalt
Und sonnet sich auf warmen Grunde.
Auf jagen ihn die flinken Hunde;
Doch wenden sie sich pfeilgeschwind,
Als er den Rachen gähnend teilet
Und von sich haucht den gift'gen Wind
Und winselnd wie der Schakal heulet.

Doch schnell erfrisch' ich ihren Mut;
Sie fassen ihren Feind mit Wut,
Indem ich nach des Tieres Lende
Aus starker Faust den Speer versende;
Doch machtlos, wie ein dünner Stab,
Prallt er von Schuppenpanzer ab.
Und eh' ich meinen Wurf erneuet,
Da bäumt sich mein Roß und scheuet
An seinem Basiliskenblick
Und seines Atems gift'gem Wehen,
Und mit Entsetzen springt's zurück,
Und jetzo war's um mich geschehen. -

Da schwing' ich mich behend vom Roß,
Schnell ist des Schwertes Scheide bloß;
Doch alle Streiche sind verloren,
Den Felsenharnisch zu durchbohren.
Und wütend mit des Schweifes Kraft,
Hat es zur Erde mich gerafft;
Schon seh' ich seinen Rachen gähnen,
Es haut nach mir mit grimmen Zähnen,
Als meine Hunde, wutentbrannt,
An seinen Bauch mit grimm'gen Bissen
Sich warfen, daß es heulend stand,
Von ungeheurem Schmerz zerrissen.

Und eh' es ihren Bissen sich
Entwindet, rasch erheb' ich mich,
Erspähe mir des Feindes Blöße
Und stoße tief ihm in's Gekröse,
Nachbohrend bis an's Heft, den Stahl.
Schwarzquellend springt des Blutes Stahl.
Hin sinkt es und begräbt im Falle
Mich mit des Leibes Riesenballe,
Daß schnell die Sinne mir vergehn;
Und als ich neu gestärkt erwache,
Seh' ich die Knappen um mich stehn,
Und tot im Blute liegt der Drache."

Des Beifalls lang gehemmte Lust
Befreit jetzt alle Hörer Brust,
So wie der Ritter dies gesprochen,
Und zehnfach am Gewölb' gebrochen,
Wälzt der vermischten Stimme Schall
Sich brausen fort im Widerhall.
Laut fordern selbst des Ordens Söhne,
Daß man die Heldenstirne kröne.
Und dankbar im Triumphgepräng'
Will ihn das Volk dem Volke zeigen;
Da faltet seine Stirne streng
Der Meister und gebietet Schweigen,

Und spricht: "Den Drachen, den dies Land
Verheert, schlugst du mit tapf'rer Hand;
Ein Gott bist du dem Volke worden,
Ein Feind kommst du zurück dem Orden,
Und einen schimmernd Wurm gebar
Dein Herz, als dieser Drache war.
Die Schlange, die das Herz vergiftet,
Die Zwietracht und Verderben stiftet,
Das ist der widerspenst'ge Geist,
Der gegen Zucht sich frech empöret,
Der Ordnung heilig Band zerreist;
Denn er ist's, der die Welt zerstöret.

Mut zeiget auch der Mameluck,
Gehorsam ist des Christen Schmuck;
Denn wo der Herr in seiner Größe
Gewandelt ist in Knechtesblöße,
Da stifteten auf heil'gem Grund
Die Väter dieses Ordens Bund,
Der Pflichten schwerste zu erfüllen.
Zu bändigen den eig'nen Willen!
Dich hat der eitle Ruhm bewegt,
Drum wende dich aus meinen Blicken;
Denn wer des Herren Joch nicht trägt,
Darf sich mit seinem Kreuz nicht schmücken."

Da bricht die Menge tobend aus,
Gewalt'ger Sturm bewegt das Haus,
Um Gnade flehen alle Brüder,
Doch schweigend blickt der Jüngling nieder;
Still legt er von sich das Gewand
Und küßte des Meisters strenge Hand
Und geht. Der folgt ihm mit dem Blicke,
Dann ruft er liebend ihn zurücke
Und spricht: "Umarme mich, mein Sohn!
Dir ist der härt're Kampf gelungen.
Nimm dieses Kreuz! Es ist der Lohn
Der Demut, die sich selbst bezwungen."


Der Ring des Polykrates

Er stand auf seines Daches Zinnen,
Er schaute mit vergnügten Sinnen
Auf das beherrschte Samos hin.
"Dies alles ist mir untertänig,"
Begann er zu Ägyptens König,
"Gestehe, daß ich glücklich bin!"

Du hast der Götter Gunst erfahren!
Die vormals deines Gleichen waren,
Sie zwingt jetzt deines Zepters Macht.
Doch einer lebt noch, sie zu rächen,
Dich kann mein Mund nicht glücklich sprechen,
So lang des Feindes Auge wacht." -

Und eh' der König noch geendet,
Da stellt sich, von Milet gesendet,
Ein Bote dem Tyrannen dar:
"Laß, Herr! Des Opfers Düfte steigen,
Und mit des Lorbeers muntern Zweigen
Bekränze dir dein festlich Haar!

Getroffen sank dein Feind vom Speere;
Mich sendet mit der frohen Mähre
Dein treuer Feldherr Polydor." -
Und nimm aus einem schwarzen Becken,
Noch blutig, zu der beiden Schrecken,
Ein wohlbekanntes Haupt hervor.

Der König tritt zurück mit Grauen.
"Doch warn' ich dich, dem Glück zu trauen,"
Versetzt er mit besorgtem Blick,
"Bedenk', auf ungetreuen Wellen,
Wie leicht kann sie der Sturm zerschellen,
Schwimmt deiner Flotte zweifelnd Glück."

Und eh' er noch das Wort gesprochen,
Hat ihn der Jubel unterbrochen,
Der von der Reede jauchzend schallt.
Mit fremden Schätzen reich beladen,
Kehrt zu den heimischen Gestaden
Der Schiffe mastenreicher Wald.

Der königliche Gast erstaunet:
"Dein Glück ist heute gut gelaunet,
Doch fürchte seinen Unbestand.
Der Kreter waffenkund'ge Scharen
Bedräuen dich mit Kriegsgefahren;
Schon nahe sind sie diesem Strand."

Und eh' ihm noch das Wort entfallen,
Da sieht man's von den Schiffen wallen,
Und tausend Stimmen rufen: "Sieg!
Von Feindesnot sind wir befreiet,
Die Kreter hat der Sturm zerstreuet,
Vorbei, geendet ist der Krieg!"

Das hört der Gastfreund mit Entsetzten.
"Fürwahr, ich muß dich glücklich schätzen,
Doch", spricht er, "zittr' ich für dein Heil;
Mit grauet vor der Götter Neide:
Des Lebens ungemischte Freude
Ward keinem Irdischen zu Teil.

Auch mir ist alles wohl geraten;
Bei allen meinen Herrschertaten
Begleitet mich des Himmels Huld;
Doch hat' ich einen teuren Erben,
Den nahm mir Gott, den sah ich sterben,
Dem Glück, bezahlt ich meine Schuld.

Drum, willst du dich vor Leid bewahren,
So fliehe zu den Unsichtbaren,
Daß sie zum Glück den Schmerz verleihn.
Noch Keinen sah ich fröhlich enden,
Auf den mit immer vollen Händen
Die Götter ihre Gaben streun.

Und wenn's die Götter nicht gewähren,
So acht' auf eines Freundes Lehren
Und rufe selbst das Unglück her,
Und was von allen deinen Schätzen
Dein Herz am höchsten mag ergötzen,
Das nimm und wirf's in dieses Meer!"

Und jener spricht, von Furcht beweget:
"Von allem was die Insel heget,
Ist dieser Ring mein höchstes Gut.
Ihn will ich den Erinnen weihen,
Ob sie mein Glück mir dann verzeihen."
Und wirft das Kleinod in die Flut.

Und bei des nächsten Morgens Lichte,
Da tritt mit fröhlichen Gesichte
Ein Fischer vor den Fürsten hin:
"Herr, diesen Fisch, hab ich gefangen,
Wie keiner noch in's Netz gegangen;
Dir zum Geschenke bring' ich ihn."

Und als der Koch den Fisch zerteilet,
Kommt er bestürzt herbeigeeilet
Und ruft mit hocherstauntem Blick:
"Sieh, Herr, den Ring, den du getragen,
Ihn fand ich in des Fisches Magen,
O, ohne Grenzen ist dein Glück!"

Hier wendet sich der Gast mit Grausen:
"so kann ich hier nicht ferner hausen,
Mein Freund kannst du nicht weiter sein.
Die Götter wollen dein Verderben;
Fort eil' ich, nicht mit dir zu sterben."
Und sprach's und schiffte schnell sich ein.


Der Taucher

"Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp',
Zu tauchen in diesen Schlund?
Einen gold'nen Becher werf' ich hinab,
Verschlungen schon hat ihn der schwarze Mund.
Und wer mir den Becher kann wieder zeigen,
Er mag ihn behalten, er sei sein eigen."

Der König spricht es und wirft von der Höh'
Der Klippe, die schroff und steil
Hinaushängt in die unendliche See,
Den Becher in der Charybde Geheul.
"Wer ist der Beherzte, ich frage wieder,
Zu tauchen in diese Tiefe nieder?"

Und die Ritter, die Knappen um ihn her
Vernehmen's und schweigen still,
Gehen hinab in das wilde Meer,
Und keiner den Becher gewinnen will.
Und der König zum dritten Mal wieder fraget:
"Ist keiner, der sich hinunter waget?"

Doch alles noch stumm bleibt wie zuvor. -
Und ein Edelknecht, sanft und keck,
Tritt aus der Knappen zagendem Chor,
Und den Gürtel wirft er, den Mantel weg,
Und alle die Männer umher und Frauen
Auf den herrlichen Jüngling verwundert schauen.

Und wie er tritt an des Felsen Hang
Und blickt in den Schlund hinab,
Die Wasser, die sie hinunter schlang,
Die Charybde jetzt brüllend wiedergab,
Und wie mit dem fernen Donners Getose
Entstürzen sie schäumend dem finstern Schoße.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
Und Flut auf Flut sich ohn' Ende drängt,
Und will sich nimmer erschöpfen und leeren,
Als wollte das Meer noch ein Meer gebären.

Doch endlich, da legt sich die wilde Gewalt;
Und schwarz aus dem weißen Schaum
Klafft hinunter ein gähnender Spalt,
Grundlos, als ging's in den Höllenraum:
Und reißend sieht man die brandenden Wogen
Hinab in den strudelnden Trichter gezogen.

Jetzt schnell, eh die Brandung wiederkehrt,
Der Jüngling sich Gott befiehlt,
Und - ein Schrei des Entsetzen wird rings gehört -
Schon hat ihn der Wirbel hinweggespült,
Und geheimnisvoll über dem kühnen Schimmer
Schließt sich der Rachen; er zeigt sich nimmer.

Und stille wird's über dem Wasserschlund,
In der Tiefe nur brauset es hohl;
Und bebend geht es von Mund zu Mund:
"Hochherziger Jüngling, fahre wohl!"
Und hohler und hohler hört man's heulen,
Und es harrt noch mit bangem, mit schrecklichem Weilen.

Und wärfst du die Krone selber hinein
Und sprächst: Wer mir bringet die Kron',
Er soll sie tragen und König sein -
Mich gelüstete nicht nach dem teuren Lohn,
Was die heulende Tiefe da unten verhehle,
Das erzählt keine lebende, glückliche Seele.

Wohl manches Fahrzeug, vom Strudel erfaßt,
Schoß jäh in die Tiefe hinab,
Doch zerschmettert nur rangen sich Kiel und Mast
Hervor aus dem alles verschlingendem Grab. -
Und heller und heller, wie Sturmessausen,
Hört man's näher und näher brausen.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
Und Well' auf Well' sich ohn' Ende drängt,
Und wie mit des fernen Donners Getose
Entstürzt es brüllend dem finstern Schoße.

Und sieh! Aus dem finster flutenden Schoß,
Da hebet sich's schwanenweiß,
Und ein Arm und ein glänzender Rachen wird bloß,
Und es rudert mit Kraft und mit emsigem Fleiß;
Und er ist's, und hoch in seiner Linken
Schwingt er den Becher mit freudigem Winken.

Und atmete lange und atmete tief
Und begrüßte das himmlische Licht.
Mit Frohlocken es einer dem Andern rief:
"Er lebt! Er ist da! Es behielt ihn nicht!
Aus dem Grab', aus der strudelnden Wasserhöhle
Hat der Brave gerettet die lebende Seele."

Und er kommt, es umringt ihn die jubelnde Schar,
Zu des Königs Füßen er sinkt,
Den Becher reicht er ihm knieend dar,
Und der König der lieblichen Tochter winkt,
Die füllt ihn mit funkelndem Wein bis zum Rande,
Und der Jüngling sich also zum König wandte:

"Lang lebe der König! Es freue sich,
Wer da atmet im rosigen Licht!
Da unten aber ist's fürchterlich,
Und der Mensch versuche die Götter nicht
Und begehre nimmer und nimmer zu schauen,
Was sie gnädig bedecken mit Nacht und mit Grauen!

Es riß mich hinunter blitzesschnell;
Da stürzt mir aus seligem Schacht
Wildflutend entgegen ein reißender Quell;
Mich packte des Doppelstroms wütende Macht,
Und wie ein Kreisel mit schwindelndem Drehen
Trieb mich's um, ich konnte nicht widerstehnen.

Da zeigte mir Gott, zu dem ich rief
In der höchsten schrecklichen Not,
Aus der Tiefe ragend ein Felsenriff,
Das erfaßt' ich behend und entrann dem Tod;
Und da hing auch der Becher an spitzen Korallen,
Sonst wär'er in's Bodenlose gefallen.

Denn unter mir lag's noch Berge tief
In purpurner Finsternis da,
Und, ob's hier dem Ohre gleich ewig schlief,
Das Auge mit Schaudern hinunter sah,
Wie's von Salamandern und Molchen und Drachen
Sich regt in dem furchtbaren Höllenrachen.

Schwarz wimmelten da in grausem Gemisch,
Zu scheußlichen Klumpen geballt,
Der stachlige Roche, der Klippenfisch,
Des Hammers gräuliche Ungestalt,
Und dräuend wies mir die grimmigen Zähne
Der entsetzliche Hai, des Meeres Hyäne.

Und da hing ich und war's mir mit Grausen bewußt,
Von der menschlichen Hilfe so weit,
Unter Larven die einzige fühlende Brust,
Allein in der gräßlichen Einsamkeit,
Tief unter dem Schall der menschlichen Rede
Bei den Ungeheuern der traurigen Öde.

Und schaudernd dacht' ich's, da kroch's heran,
Regte hundert Gelenke zugleich,
Will schnappen nach mir - in des Schreckens Wahn
Lass' ich los der Koralle umklammerten Zweig;
Gleich faßt mich der Strudel mit rasendem Toben,
Doch es war mir zum Heil, er riß mich nach oben."

Der König erhob sich verwundert schier
Und spricht: "Der Becher ist dein,
Und diesen Ring noch bestimm' ich dir,
Geschmückt mit dem köstlichsten Edelgestein,
Versuchst du's noch einmal und bringst mir Kunde,
Was du sahst auf des Meeres tiefunterstem Grund."

Das hörte die Tochter mit weichem Gefühl,
Und mit schmeichelndem Munde sie fleht:
"Laßt, Vater, genug sein das grausame Spiel;
Er hat euch bestanden, was keiner besteht,
Und könnt ihr des Herzens Gelüste nicht zähmen,
So mögen die Ritter den Knappen beschämen."

Drauf der König greift nach dem Becher schnell,
In den Strudel ihn schleudert hinein:
"Und schaffst du den Becher mir wieder zur Stell',
So sollt du der trefflichste Ritter mir sein,
Und sollst sie als Ehgemahl heut noch umarmen,
Die jetzt für dich bittet mit zartem Erbarmen."

Da ergreift's ihm die Seele mit Himmelsgewalt,
Es blitzt aus den Augen ihm kühn,
Und er sieht erröten die schöne Gestalt,
Und sieht sie erbleichen und sinken hin; -
Da treibt's ihn, den köstlichen Preis zu erwerben,
Und stürzt hinunter auf Leben und Sterben.

Wohl hört man die Brandung, wohl kehrt sie zurück,
Sie verkündet der donnernde Schall;
Da bückt sich's hinunter mit liebendem Blick, -
Es kommen und kommen die Wasser all',
Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder, -
Den Jüngling bringt keines wieder.


Die Bürgschaft

Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
Möros, den Dolch im Gewande;
Ihn schlugen die Häscher in Bande.
"Was wolltest du mit dem Dolche, sprich!"
Entgegnet ihm finster der Wüterich.
"Die Stadt vom Tyrannen befreien!"
"Das sollst du am Kreuze bereuen!"

"Ich bin," spricht jener, "zu sterben bereit
Und bitte nicht um mein Leben;
Doch willst du Gnade mir geben,
Ich flehe dich um drei Tage Zeit,
Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;
Ich lasse den Freund dir als Bürgen,
Ihn magst du, entrinn' ich, erwürgen."

Da lächelt der König mit arger List
Und spricht nach kurzem Bedenken:
"Drei Tage will ich dir schenken;
Doch wisse! Wenn sie verstrichen die Frist,
Eh' du zurück mir gegeben bist,
So muß er statt deiner erblassen,
Doch dir ist die Strafe erlassen."

Und er kommt zum Freunde: "Der König gebeut,
Daß ich am Kreuz mit dem Leben
Bezahle das frevelnde Streben,
Doch will er mir gönnen drei Tage Zeit,
Bis ich die Schwester vom Gatten gefreit;
So bleib' du dem König als Pfande,
Bis ich komme, zu lösen die Bande."

Und schweigend umarmt ihn der treue Freund
Und liefert sich aus dem Tyrannen,
Der andere ziehet von dannen.
Und ehe das dritte Morgenrot scheint,
Hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,
Eilt Heim mit sorgender Seele,
Damit er die Frist nicht verfehle.

Da gießet unendlicher Regen herab,
Von den Bergen stürzen die Quellen
Und die Bäche und Ströme schwellen;
Und er kommt an's Ufer mit wanderndem Stab,
Da reißet der Brücke der Strudel hinab
Und donnernd sprengen die Wogen
Des Gewölkes krachenden Bogen.

Und trostlos irrt er an Ufers Rand;
Wie weit er auch spähet und blicket
Und die Stimme, die rufende schicket,
Da stößet kein Nachen vom sichern Strand,
Der ihn setze an das gewünschte Land,
Kein Schiffer lenket die Fähre,
Und der wilde Strom wird zum Meere.

Da sinkt er an's Ufer und weint und fleht,
Die Hände zum Zeus erhoben.
"O hemme des Stromes Toben!
Es eilen die Stunden, im Mittag steht
Die Sonne und wenn sie niedergeht
Und ich kann die Stadt nicht erreichen,
So muß der Freund mir erbleichen."

Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut,
Und Welle auf Welle zerrinnet:
Und Stunde auf Stunde entrinnet,
Da treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut,
Und wirft sich hinein in die brausende Flut,
Und teilt mit gewaltigen Armen
Den Strom - und ein Gott hat Erbarmen.

Und gewinnt das Ufer und eilet fort,
Und danket dem rettenden Gotte,
Da stürzet die raubende Rotte
Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,
Den Pfad ihm sperret und schnaubend Mord,
Und hemmet des Wanderers Eile
Mit drohender geschwungener Keule.

"Was wollt ihr?" ruft er, vor Schrecken bleich,
"Ich habe nichts, als mein Leben,
Das muß ich dem König geben!"
Und entreißt die Keule dem Nächsten gleich:
"Um des Freundes willen, erbarmet euch!"
Und drei mit gewaltigen Streichen
Erlegt er, die Andern entweichen.

Und die Sonne versendet glühenden Brand,
Und von der unendlichen Mühe
Ermattet, sinken die Kniee:
"O hast du mich gnädig aus Räuberhand,
Aus dem Strome gerettet an's heilige Land,
Und soll hier verschmachtend verderben,
Und der Freund mir, der liebende, sterben?"

Und horch! Da sprudelt es silberhell,
Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen,
Und stille hält er, zu lauschen.
Und sieh', aus dem Felsen, geschwätzig schnell,
Springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell,
Und freudig bückt er sich nieder,
Und erfrischt die brennenden Glieder.

Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün
Und malt auf die glänzenden Matten
Der Bäume gigantische Schatten,
Und zwei Wand'rer sieht er die Straße ziehn,
Will eilenden Laufes vorüber fliehn,
Da hört er die Worte sie sagen.
"Jetzt wird er an's Kreuz geschlagen!"

Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,
Ihn jagen der Sorge Qualen,
Da schimmert im Abendrots Strahlen
Von ferne die Zinnen von Syrakus,
Und entgegen kommt ihm Philostratus,
Des Hauses redlicher Hüter,
Der erkennet entsetzt den Gebieter.

"Zurück! Du rettest den Freund nicht mehr,
So rette das eigene Leben!
Den Tod erleidet er eben.
Von Stunde zu Stunde gewartet' er
Mit hoffender Seele der Wiederkehr,
Ihm konnte den mutigen Glauben
Der Hohn des Tyrannen nicht rauben!" -

"Und ist es zu spät und kann ich ihm nicht
Ein Retter willkommen erscheinen,
So soll mich der Tod ihm vereinen.
Des rühme der blut'ge Tyrann sich nicht,
Daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht,
Er schlachte der Opfer zweie,
Und glaube an Liebe und Treue!"

Und die Sonne geht unter, da steht er am Thor
Und sieht das Kreuz schon erhöhet,
Das die Menge gaffend umstehet;
An dem Seile schon zieht man den Freund empor,
Da zertrennt er gewaltig den dichten Chor.
"Mich Henker!" ruft er, erwürget;
Da bin ich, für den er gebürget!"

Und Erstaunen ergreift das Volk umher,
In den Armen liegen sich beide
Und weinen vor Schmerzen und Freude.
Da sieht man kein Auge tränenleer,
Und zum König bringt man die Wundermähr,
Der fühlt ein menschliches Rühren,
Läßt schnell vor den Thron sie führen.

Und blicket sie lange verwundert an,
Drauf spricht er: "Es ist euch gelungen,
Ihr habt das Herz mir bezwungen,
Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn,
So nehmet auch mich zum Genossen an:
Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der Dritte."


Die Hoffnung

Es reden und träumen die Menschen viel
Von besseren künftigen Tagen,
Nach einem glücklichen gold'nen Ziel
Sieht man sie rennen und jagen,
Die Welt wird alt und wieder jung,
Doch der Mensch hofft immer Verbesserung.

Die Hoffnung führt ihn in's Leben ein,
Sie umflattert den fröhlichen Knaben,
Den Jüngling bezaubert ihr Geisterschein,
Sie wird mit dem Greis nicht begraben;
Denn beschließt er im Grabe den müden Lauf,
Noch am Grabe pflanzt er die Hoffnung auf.

Es ist kein leerer schmeichelnder Wahn,
Erzeugt im Gehirne des Toren,
Im Herzen kündet es laut sich an:
Zu was Besserem sind wir geboren!
Und was die innere Stimme spricht,
Das täuscht die hoffende Seele nicht.


Die Kraniche des Ibykus

Zum Kampf der Wagen und Gesänge,
Der auf Korinthus Landesenge
Der Griechen Stämme froh vereint,
Zog Ibykus, der Götterfreund.
Ihm schenkte des Gesanges Gabe,
Der Lieder süßen Mund Apoll;
So wandert er am leichten Stabe
Aus Rhegium, des Gottes voll.

Schon winkt auf hohem Bergesrücken
Akrokorinth des Wand'rers Blicken,
Und in Poseidons Fichtenhain
Tritt er mit frommen Schaudern ein;
Nichts regt sich um ihn her, nur Schwärme
Von Kranichen begleiten ihn,
Die fernhin nach des Südens Wärme
In graulichem Geschwader ziehn.

"Seid mir gegrüßt, befreund'te Scharen,
Die mir zur See Begleiter waren,
Zum guten Zeichen nehm' ich euch;
Mein Los, es ist dem euren gleich:
Von fernher kommen wir gezogen
Und flehen um ein wirtlich Dach:
Sei uns der Gastliche gewogen,
Der von dem Fremdling wehrt die Schmach!"

Und munter fördert er die Schritte
Und sieht sich in des Waldes Mitte;
Da sperren auf gedrangem Steg
Zwei Mörder plötzlich seinen Weg.
Zum Kampfe muß er sich bereiten,
Doch bald ermattet sinkt die Hand;
Sie hat der Leier zarte Saiten,
Doch nie des Bogens Kraft gespannt.

Er ruft die Menschen an, die Götter,
Sein Flehen dringt zu keinem Retter,
Wie weit er auch die Stimme schickt,
Nichts Lebendes wird hier erblickt.
"So muß ich hier verlassen sterben,
Auf fremden Boden, unbeweint,
Durch böser Buben Hand verderben,
Wo auch kein Rächer mir erscheint!"

Und schwer getroffen sinkt er nieder;
Da rauscht der Kraniche Gefieder,
Er hört, schon kann er nicht mehr sehn,
Die nahen Stimmen furchtbar krähn.
"Von euch, die Kraniche dort oben,
Wenn keine and're Stimme spricht,
Sei meines Mordes Klag' erhoben!"
Er ruft es, und sein Auge bricht.

Der nackte Leichnam wird gefunden,
Und bald, obgleich entstellt von Wunden,
Erkennt der Gastfreund von Korinth
Die Züge, die ihm teuer sind.
"Und muß ich so dich wiederfinden,
Und hoffte mir der Fichte Kranz
Des Sängers Schläfe zu umwinden,
Bestrahlt von seines Ruhmes Glanz!"

Und jammernd hören's alle Gäste,
Versammelt bei Poseidon's Feste:
Ganz Griechenland ergreift der Schmerz;
Verloren hat ihn jedes Herz.
Und stürmend drängt sich zum Prytanen
Das Volk, es fordert seine Wut,
Zu rächen des Erschlag'nen Manen,
Zu sühnen mit des Mörders Blut.

Doch wo die Spur, die aus der Menge
Der Völker flutendem Gedränge,
Gelocket von der Spiele Pracht,
Den schwarzen Täter kenntlich macht?
Sind's Räuber, die ihn feig erschlagen?
Tat's neidisch ein verborg'ner Feind?
Nur Helios vermag's zu sagen,
Der alles Irdische bescheint.

Er geht vielleicht mit frechem Schritte
Jetzt eben durch der Griechen Mitte,
Und während ihn die Rache sucht,
Genießt er seines Frevels Frucht.
Auf ihres eig'nen Tempels Schwelle
Trotz er vielleicht den Göttern, mengt
Sich dreist in jenen Menschenwelle,
Die dort sich zum Theater drängt.

Denn Bank an Bank gedränget sitzen,
Es brechen fast der Bühne Stützen,
Herbeigeströmt von fern und nah,
Der Griechen Völker wartend da,
Dumpfbrausend wie des Meeres Wogen.
Von Menschen wimmelnd, wächst der Bau
In weiter stets geschweiftem Bogen
Hinauf bis zu des Himmels Blau.

Wer zählt die Völker, nennt sie Namen,
Die gastlich hier zusammen kamen?
Von Theseus' Stadt, von Aulis' Strand,
Von Phokis, von Spartanerland,
Von Asiens entleg'ner Küste,
Von allen Inseln kamen sie
Und horchen von dem Schaugerüste
Des Chores grauser Melodie,

Der streng und ernst nach alter Sitte
Mit langsam abgemess'nem Schritte
Hervortritt aus dem Hintergrund,
Umwandelnd des Theaters Rund.
So schreiten keine ird'schen Weiber!
Die zeugete kein sterblich Haus!
Es steigt das Riesenmaß der Leiber
Hoch über menschliches hinaus.

Ein schwarzer Mantel schlägt die Lenden,
Sie schwingen in entfleischten Händen
Der Fackel düfterrote Glut;
In ihren Wangen fließt kein Blut,
Und wo die Haare lieblich flattern,
Um Menschenstirnen freundlich wehn,
Da sieht man Schlangen hier und Nattern
Die giftgeschwoll'nen Bäuche blähn.

Und schauerlich gedreht im Kreise
Beginnen sie des Hymnus Weise,
Der durch das Herz zerreißend dringt,
Die Bande um den Sünder schlingt.
Besinnungraubend, herzbetörend
Schallt der Erinnyen Gesang,
Er schallt, des Hörers Mark verzehrend,
Und duldet nicht der Leier Klang:

"Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle
Bewahrt die kindlich reine Seele!
Ihm dürfen wir nicht rächend nahn,
Er wandelt frei des Lebens Bahn.
Doch wehe, wehe, wer verstohlen
Des Mordes schwere Tat vollbracht!
Wir heften uns an seine Sohlen,
Das furchtbare Geschlecht der Nacht.

Und glaubt er fliehend zu entspringen,
Geflügelt sind wir da, die Schlingen
Ihm werfend um den flücht'gen Fuß,
Daß er zu Boden fallen muß.
So jagen wir ihn ohn' Ermatten,
Versöhnen kann uns keine Reu',
Ihn fort und fort bis zu den Schatten
Und geben ihn auch dort nicht frei."

So singend tanzen sie den Reigen,
Und Stille, wie des Todes Schweigen,
Liegt über'm ganzen Hause schwer,
Als ob die Gottheit nahe wär'.
Und feierlich, nach alter Sitte
Umwandelnd des Theaters Rund,
Mir langsam abgemess'nem Schritte
Verschwinden sie im Hintergrund.

Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet
Noch zweifelnd jede Brust und bebet
Und huldiget der furchtbar'n Macht,
Die richtend im Verborgnen wacht,
Die unerforschlich, unergründet,
Des Schicksals dunkeln Knäuel flicht,
Dem tiefen Herzen sich verkündet,
Doch fliehet vor dem Sonnenlicht;

Da hört man auf den höchsten Stufen
Auf einmal eine Stimme rufen:
"Sieh da! Sieh da! Timotheus,
Die Kraniche des Ibykus!"
Und finster plötzlich wird der Himmel,
Und über dem Theater hin
Sieht man im schwärzlichen Gewimmel
Ein Kranichheer vorüberziehn.

"Des Ibykus?" - Der teure Name
Rührt jede Brust mit neuem Grame,
Und, wie im Meere Well' auf Well',
So läuft's von Mund zu Munde schnell:
"Des Ibykus, den wir beweinen,
Den eine Mörderhand erschlug?
Was ist's mit dem? Was kann er meinen?
Was ist's mit diesem Kranichzug?"

Und immer lauter wird die Frage,
Und ahnend fliegt's mit Blitzesschlage
Durch alle Herzen: "Gebet Acht!
Das ist der Eumeniden Macht!
Der fromme Dichter wird gerochen,
Der Mörder bietet selbst sich dar.
Ergreift ihn, der das Wort gesprochen,
Und ihn, an den's gerichtet war!"

Doch dem ward kaum das Wort entfahren,
Möchte' er's im Busen gern bewahren;
Umsonst! der schreckenbleiche Mund
Macht schnell die Schuldbewußten kund.
Man reißt und schleppt sie vor den Richter,
die Szene wird zum Tribunal,
Und es gestehn die Bösewichter,
Getroffen von der Rache Strahl.


Die Macht des Gesanges

Ein Regenstrom aus Felsenrissen,
Er kommt mit Donner Ungestüm;
Bergtrümmer folgen seinen Güssen,
Und Eichen stürzen unter ihn.
Erstaunt mit wollustvollem Grausen,
Hört ihn der Wanderer und lauscht,
Er hört die Flut vom Felsen brausen,
Doch weiß er nicht, woher sie rauscht:
So strömen des Gesanges Wellen
Hervor aus nie entdeckten Quellen.

Verbündet mit den furchtbar'n Wesen,
Die still des Lebens Faden drehn,
Wer kann des Sängers Zauber lösen,
Wer seinen Tönen widerstehn?
Wie mit dem Stab des Götterboten
Beherrscht er das bewegte Herz,
Er taucht es in das Reich der Toden,
Er hebt es staunend himmelwärts,
Und wiegt es zwischen Ernst und Spiele
Auf schwanker Leiter der Gefühle.

Wie wenn auf einmal in die Kreise
Der Freude, mit Gigantenschritt,
Geheimnisvoll nach Geisterweise,
Ein ungeheures Schicksal tritt;
Da beugt sich jede Erdengröße
Dem Fremdling aus der andern Welt,
Des Jubels nichtiges Getöse
Verstummt, und jede Larve fällt,
Und vor der Wahrheit mächt'gem Siege
Verschwindet jedes Wort der Lüge:

So rafft von jeder eiteln Bürde,
Wenn des Gesanges Ruf erschallt,
Der Mensch sich auf zur Geisterwürde
Und tritt in heilige Gewalt;
Den hohen Göttern ist er eigen,
Ihm darf nichts Irdisches sich nahn,
Und jede andre Macht muß schweigen,
Und kein Verhängnis fällt ihn an;
Es schwinden jedes Kummers Falten,
So lang des Liedes Zauber walten.

Und wie nach hoffnungslosem Sehnen,
Nach langer Trennung bitterm Schmerz,
Ein Kind mit heißen Reuetränen
Sich stürzt an seiner Mutter Herz:
So führt in seiner Jugend Hütten,
Zu seiner Unschuld reinem Glück,
Vom fernen Ausland fremder Sitten
Den Flüchtling der Gesang zurück,
In der Natur getreuen Armen
Von kalten Regeln zu erwarmen.


Die Worte des Glaubens

Drei Worte nenn' ich euch, inhaltsschwer,
Sie gehen von Munde zu Munde,
Doch stammen sie nicht von außen her,
Das Herz nur giebt davon Kunde,
Dem Menschen ist aller Werth geraubt,
Wenn er nicht an die drei Worte glaubt.

Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei,
Und würd' er in Ketten geboren;
Laßt euch nicht irren des Pöbels Geschrei,
Nicht den Missbrauch rasender Thoren.
Vor dem Sclaven, wenn er die Kette bricht,
Vor dem freien Menschen erzittert nicht.

Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall,
Der Mensch kann sie üben im Leben;
Und sollt' er auch straucheln überall,
Er kann nach der göttlichen streben,
Und was kein Verstand der Beständigen sieht,
Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüth.

Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt,
Wie auch der menschliche wanke;
Hoch über der Zeit und dem Raume webt
Lebendig der höchste Gedanke;
Und ob Alles im ewigen Wechsel kreist,
Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist.

Die drei Worte behaltet euch, inhaltsschwer,
Sie pflanzet von Munde zu Munde;
Und stammen sie gleich nicht von außen her,
Euer Inneres giebt davon Kunde.
Dem Menschen ist nimmer sein Werth geraubt,
So lang' er noch an die drei Worte glaubt.


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